Unzählige Male am Tag läuft in unserem Körper ein zentraler Prozess ab: Proteine kopieren die genetische Information, die in unserem Erbgut gespeichert ist, Forscher nennen diesen Vorgang Replikation. Eine spezielle Form der Erbinformation, die sogenannte mRNA, fungiert dann als Anleitung für den Bau von Proteinen, die Translation. Der zentrale Vermittler, der sicherstellt, dass die korrekten Aminosäuren nach dem Bauplan der mRNA zu einem Protein zusammengesetzt werden, ist eine weitere RNA-Variante, die tRNA (Transfer-RNA).
Doch wie begann dieses Zusammenspiel von Replikation und Translation, als erstmals Leben auf der Erde entstand? Es ist ein klassisches Henne-Ei-Problem: Bestimmte Proteine werden benötigt, um die genetische Information auszulesen, gleichzeitig können nur dann Proteine hergestellt werden, wenn dafür die Hilfe von Proteinen zum Auslesen der genetischen Information verfügbar ist.
Dieses Dilemma haben Physiker um Prof. Dr. Dieter Braun, einer der leitenden Wissenschaftler des ORIGINS Clusters, nun aufgelöst. Sie konnten experimentell zeigen, dass leicht abgewandelte tRNA-Moleküle in der Lage sind, sich autonom zu einer Art Kopiereinheit zusammenzusetzen und anschließend Information exponentiell zu vervielfältigen. tRNA ist somit das Schlüsselmolekül zwischen Vervielfältigung (Replikation) und Synthese von Proteinen (Translation). Es könnte deshalb dabei helfen zu klären, was zuerst kam: genetische Information oder Proteine.
Komplexes Zusammenspiel auf der frühen Erde
Interessanterweise ist tRNA in ihrer Sequenz und Struktur in allen drei Domänen des Lebens konserviert, bei den Urbakterien, Archaeen genannt, bei den Bakterien und auch bei sogenannten Eukaryonten, also Lebewesen mit einem echten Zellkern. Dies deutet darauf hin, dass tRNA zu den ältesten Molekülen des modernen Lebens gehört.
Die Evolution von Replikation und Translation und speziell ihr komplexes Zusammenspiel war ebenso wie die spätere Evolution des Lebens kein singuläres Ereignis, sondern lässt sich eher als eine evolutionäre Reise verstehen. „Zugrundeliegende Faktoren wie Selbstreplikation, Autokatalyse, Selbstanordnung und Abkapselung dürften dabei eine wichtige Rolle gespielt haben“, sagt Dieter Braun. „Ganz allgemein betrachtet, sind für solche Vorgänge chemische und physikalische Nicht-Gleichgewichte unverzichtbar.“
In ihren Experimenten verwendeten die Münchner Physiker ein Set von wechselseitig-komplementären DNA-Strängen. Jeder einzelne Strang bestand aus zwei sogenannten Hairpins – so nennt man die Strukturen wegen ihrer Form, angelehnt an den englischen Begriff für Haarnadel. Sie flankierten einen in der Mitte liegenden Informationsbereich. Insgesamt acht solcher Stränge bildeten einen Komplex. Dieser war abhängig von den mittig eingebauten Informationsbereichen in der Lage, einen vierstelligen binären Code zu kodieren.
In ihrem Experiment starteten die Forscher jeweils mit einem sogenannten Template, einer Informationsschablone aus Nullen und Einsen, die durch ihre chemische Struktur die Form eines neu zu bildenden Moleküls vorgibt. Dessen binäre Abfolge lässt sich nun, so zeigten die Physiker, mit Hilfe von gezielten Temperaturschwankungen zwischen warm und kalt kopieren, also gezielt vermehren. „Es ist gut vorstellbar, dass ein solcher Replikationsmechanismus in einem hydrothermalen Mikrosystem auf der frühen Erde abgelaufen ist“, sagt Dieter Braun. Besonders wassergefüllte Einschlüsse in porösem Gestein tief im Meer dürften eine gute Umgebung dargestellt haben. Denn dort gab es natürliche Temperaturoszillationen, hervorgerufen durch Konvektion.
Ein Schritt in Richtung Rekonstruktion des Lebens
Während des Kopiervorgangs binden zunächst die passenden Stränge aus dem Molekülpool an der Informationsdomäne des Templates. Mit der Zeit verbinden sich auch die benachbarten Hairpins dieser Stränge und bilden ein stabiles „Rückgrat“. Mit Hilfe von Temperaturoszillationen kann nun die Replikation betrieben werden. Erhöht sich die Temperatur kurzzeitig, werden das Template und das neu geformte Replikat an den Informationsdomänen getrennt und können in der nächsten Oszillation beide als neue Vorlageschablone fungieren.
Die Physiker konnten zeigen, dass sich so Informationen exponentiell vervielfältigen lassen. Dies ist wichtig, damit ein Vervielfältigungsapparat besonders widerstandsfähig gegen mögliche Degradation ist. Der untersuchte Replikator, dessen DNA-Bausteine heutiger tRNA ähneln, legt nahe, dass frühe Formen von tRNA an der molekularen Replikation beteiligt gewesen sein können, bevor tRNA-Moleküle ihre moderne Rolle in der Translation von Proteinen übernahmen. „Diese Verknüpfung von Replikation und Translation in einem frühen evolutionären Szenario könnte eine Antwort auf das Henne-Ei-Problem von Replikation und Translation sein“, sagt Alexandra Kühnlein. Dies könnte die Existenz von Proto-tRNAs rechtfertigen und die Rolle der tRNA klären, bevor sie für die Translation benötigt wurde.
Die Erforschung des Ursprungs des Lebens und die Erschaffung Darwinscher Evolution im Labor können auch von zentraler Bedeutung für den Fortschritt der Biotechnologie sein. „Unsere Forschungsergebnisse zu früher molekularer Replikation und die Herstellung einer Verbindung zur Translation bringen uns einen Schritt näher an die Rekonstruktion des Ursprungs des Lebens“, sagt Braun.
Originalpublikation: tRNA sequences can assemble into a replicator
Kontakt:
Prof. Dr. Dieter Braun
Systems Biophysics
Ludwig-Maximilians-Universität München
E-Mail: Dieter.Braun(at)physik.uni-muenchen.de