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Erstes Neutrino-Bild einer aktiven Galaxie

Seit mehr als zehn Jahren detektiert das IceCube Observatorium in der Antarktis Leuchtspuren extragalaktischer Neutrinos. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Technischen Universität München (TUM) hat bei der Auswertung der Daten in der aktiven Galaxie NGC 1068, auch bekannt als Messier 77, eine Quelle hochenergetischer Neutrino-Strahlung entdeckt.

Der oberirdische Teil des Neutrinoobservatoriums IceCube in der Antarktis. Die Messungen finden mittels bis zu 2,5 Kilometer tief in das Eis eingelassenen Kabelsträngen statt. Bild: Martin Wolf, IceCube/NSF

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Das Universum ist voller Geheimnisse. Eines davon sind aktive Galaxien, in deren Zentrum sich gigantische Schwarze Löcher befinden. „Wir wissen bis heute nicht genau, welche Prozesse sich dort abspielen“, erklärt Elisa Resconi, Professorin für Experimentalphysik mit kosmischer Strahlung an der TUM und Koordinatorin des Konnektors ,,Kosmische Beschleuniger" am Exzellenzcluster ORIGINS. Ihr Team ist der Auflösung dieses Rätsels jetzt einen großen Schritt nähergekommen: In der Spiralgalaxie NGC 1068 haben die Astrophysikerinnen und Astrophysiker eine Quelle hochenergetischer Neutrinos aufgespürt.

Mit Teleskopen, die Licht, Gamma- oder Röntgenstrahlen aus dem All auffangen, ist es sehr schwierig, die aktiven Zentren von Galaxien zu erforschen, weil Wolken aus kosmischem Staub und heißem Plasma die Strahlung absorbieren. Dem Inferno am Rande Schwarzer Löcher entkommen nur Neutrinos, die so gut wie keine Masse und auch keine elektrische Ladung haben. Sie durchdringen den Raum, ohne durch elektromagnetische Felder abgelenkt oder absorbiert zu werden. Deshalb sind sie auch so schwer zu detektieren. 

Die größte Hürde bei der Neutrino-Astronomie war bisher die Trennung des sehr schwachen Signals von dem starken Hintergrundrauschen durch Teilcheneinschläge aus der Erdatmosphäre. Erst die langjährigen Messungen des IceCube Neutrino Observatory und neue statistische Methoden ermöglichten Resconi und ihrem Team genügend Neutrino-Ereignisse für ihre Entdeckung.

Detektivarbeit im ewigen Eis

Das IceCube-Teleskop, das sich im Eis der Antarktis befindet, detektiert seit 2011 Leuchtspuren einfallender Neutrinos. „Aus ihrer Energie und ihrem Einfallswinkel können wir rekonstruieren, woher sie kommen“, erklärt TUM-Wissenschaftler Dr. Theo Glauch. „Die statistische Auswertung zeigt eine hochsignifikante Häufung von Neutrino-Einschlägen aus der Richtung, in der sich die aktive Galaxie NGC 1068 befindet. Damit können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die hochenergetische Neutrino-Strahlung aus dieser Galaxie kommt.“ Glauch hat für seine Anwendung, die mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerken Daten von Hochenergie-Neutrinos des IceCube Detektors rekonstruiert und klassifiziert, den ORIGINS PhD Award 2021 gewonnen.

Die Spiralgalaxie, 47 Millionen Lichtjahre entfernt, wurde bereits im 18. Jahrhundert entdeckt. NGC 1068 – auch bekannt unter dem Namen Messier 77 –  ist in Form und Größe unserer Galaxie ähnlich, hat aber ein leuchtend helles Zentrum, das heller strahlt als die gesamte Milchstraße, obwohl es nur in etwa so groß ist wie unser Sonnensystem.  In diesem Zentrum befindet sich ein „aktiver Kern“: ein gigantisches Schwarzes Loch von etwa 100 Millionen Sonnenmassen, das große Mengen von Materie aufsaugt. 

Doch wo und wie entstehen dort Neutrinos? „Wir haben ein klares Szenario “, antwortet Resconi. „Wir denken, dass die hochenergetischen Neutrinos das Ergebnis einer extremen Beschleunigung sind, die Materie in der Umgebung des Schwarzen Lochs erfährt und dadurch auf sehr hohe Energien beschleunigt wird. Aus Experimenten in Teilchenbeschleunigern wissen wir, dass hochenergetische Protonen Neutrinos erzeugen, wenn sie mit anderen Teilchen zusammenstoßen. Mit anderen Worten: Wir haben einen kosmischen Beschleuniger gefunden.“

Neutrino-Observatorien für eine neue Astronomie

NGC 1068 ist die statistisch signifikanteste Quelle hochenergetischer Neutrinos, die bisher entdeckt wurde. Um auch schwächere und weiter entfernte Neutrino-Quellen lokalisieren und erforschen zu können, seien mehr Daten erforderlich, betont Resconi. Die Forscherin hat unlängst eine internationale Initiative für den Bau eines mehrere Kubikkilometer großen Neutrino-Teleskops im nordöstlichen Pazifik gestartet, das Pacific Ocean Neutrino Experiment, P-ONE. Es soll zusammen mit dem geplanten IceCube-Observatorium der zweiten Generation – IceCube-Gen2 – die Daten für eine künftige Neutrino-Astronomie liefern.
 

Publikation:
IceCube Collaboration: Evidence for neutrino emission from the nearby active galaxy NGC 1068, (2022) Science


Mehr Informationen:
Das IceCube Neutrino-Observatorium, das erste Teleskop seiner Art, sucht nach nahezu masselosen subatomaren Teilchen, den Neutrinos. Diese hochenergetischen astronomischen Boten liefern Informationen, um die heftigsten astrophysikalischen Quellen zu untersuchen: Ereignisse wie explodierende Sterne, Gammastrahlenausbrüche und katastrophale Phänomene mit Schwarzen Löchern und Neutronensternen. Rund 300 Physiker:innen aus 58 Institutionen in 14 Ländern bilden die IceCube Collaboration.

Die deutsche Beteiligung an IceCube wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF, die Helmholtz Gemeinschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG und die teilnehmenden Universitäten. Die Arbeit an dem jetzigen Ergebnis wird vom SFB 1258, deren Sprecherin Prof. Resconi ist, und dem Cluster ORIGINS unterstützt. Für die Entwicklung von P-ONE hat Prof. Resconi einen ERC Advanced Grant erhalten.

 

Pressemeldung der TUM mit Video.

 

Kontakt:
Prof. Elisa Resconi
Physik Department der Technischen Universität München
E-Mail: elisa.resconi(at)tum.de