Wie konnte sich komplexes Leben auf der unwirtlichen frühen Erde entwickeln? Am Anfang stand vermutlich die Ribonukleinsäure (RNA) als Träger erster Erbinformationen. Um Komplexität in ihren Sequenzen aufzubauen, müssen diese Biomoleküle Wasser abscheiden. Auf einer frühen Erde, die größtenteils von Meerwasser bedeckt war, war dies allerdings gar nicht so einfach. In einer kürzlich im Fachmagazin Journal of the American Chemical Society (JACS) erschienenen Veröffentlichung haben Forschende aus dem Team von LMU-Professor Dieter Braun gezeigt, dass beim Ringen der RNA gegen das Umgebungswasser ihre natürliche Recycling-Fähigkeit und die richtigen Umgebungsbedingungen ausschlaggebend gewesen sein könnten.
„Die Bausteine der RNA stoßen mit jeder Verknüpfung ein Wassermolekül ab, wenn die RNA-Kette sich verlängert“, erklärt Braun, Sprecher des Sonderforschungsbereichs (SFB) Molecular Evolution in Prebiotic Environments und Koordinator im Exzellenzcluster ORIGINS. „Wenn dem RNA-Molekül umgekehrt Wasser hinzugefügt wird, werden die RNA-Bausteine wieder in den präbiotischen Pool eingespeist.“ Diese Umschichtung von Wasser funktioniert besonders gut unter salzarmen Bedingungen bei hohem pH-Wert. „Unsere Experimente deuten darauf hin, dass das Leben aus einem sehr kleinen Set von Molekülen entstehen konnte, unter Bedingungen, wie sie auf vulkanischen Inseln der frühen Erde vorkamen", sagt Adriana Serrão, Leiterin der Studie.
Ende des RNA-Strangs bleibt wasserfrei und kann spontan neue RNA-Bindungen eingehen
Unter diesen Bedingungen hat die RNA die Fähigkeit, sich zu spalten, ohne ein Wassermolekül hinzuzufügen. Das Ende des RNA-Strangs bleibt wasserfrei und kann spontan neue RNA-Bindungen eingehen. Das Braun-Labor konnte zeigen, dass das Wiederverbinden dieser abgespaltenen RNA effizient und bemerkenswert präzise beim Kopieren der Sequenzinformation funktioniert. Dieser Prozess findet nur statt, wenn die RNA-Bausteine an ein Vorlagen-RNA-Molekül mit genau aufeinander abgestimmten Basenpaaren in einer doppelsträngigen Konfiguration gebunden sind. Das erzeugt eine Kopie des bereits existierenden RNA-Strangs, bevor dieser durch die Zugabe von Wasser wieder zerfällt.
Bisher war angenommen worden, dass RNA sich nur selbst kopieren kann, indem sie ,zufällig' etwa 200 Nukleotide lange Sequenzen aufbaut – sogenannte Ribozyme –, welche aber nur in salzreichen und somit RNA-unfreundlichen Umgebungen operieren können. Die Ergebnisse der Forschenden machen diese komplexen Ribozym-Sequenzen in den frühen Stadien der RNA-Evolution jedoch überflüssig. „Die Präzision ist vergleichbar mit dem Kopieren von RNA durch Ribozyme", sagt Sreekar Wunnava, ebenfalls Erstautor der Studie. „Das bedeutet, dass eine RNA-Welt entstehen kann, ohne dass zuvor lange, komplexe Sequenzen erzeugt werden müssen.“
Alkalische Süßwasserumgebung als Voraussetzung
Das frühe Leben war demnach ein sehr einfacher Stoffwechsel, bei dem RNA-Sequenzen durch kontinuierliches Ersetzen mit recycelten Molekülen kopiert wurden. Alles, was es dazu braucht, ist eine alkalische Süßwasserumgebung, wie man sie auch heute noch auf vulkanischen Inseln wie Hawaii oder Island findet. „Das Leben könnte also aus einer einfachen und kalten präbiotischen Ursuppe aus RNA-Bausteinen entstanden sein“, erklärt Braun. Unter diesen Umständen finden die Reaktionen zwar noch sehr langsam statt und benötigen einige Tage, um abgeschlossen zu werden. Zeit war jedoch am Anfang der Evolution reichlich vorhanden und die kalten Süßwasser-Refugien auf urzeitlichen Vulkaninseln ermöglichten es der RNA, auf der ansonsten unwirtlichen frühen Erde zu überleben.
Publikation: Adriana Calaça Serrão, Sreekar Wunnava, Avinash V. Dass, Lennard Ufer, Philipp Schwintek, Christof B. Mast, & Dieter Braun: High-Fidelity RNA Copying via 2′,3′-Cyclic Phosphate Ligation. Journal of the American Chemical Society 2024
Kontakt:
Prof. Dr. Dieter Braun
Ludwig-Maximilians-Universität München / Exzellenzcluster ORIGINS
E-Mail: Dieter.Braun(at)physik.uni-münchen.de