Das nachts am Himmel schwach leuchtende Sternenband der Milchstraße beeindruckt die Menschen seit jeher, auch wenn sie erst seit dem Beginn der Neuzeit angefangen haben, es als ihre Heimatgalaxie zu begreifen und seine Struktur zu enträtseln. Nun ist es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des IceCube Neutrino Observatoriums am Südpol erstmals gelungen, ein Neutrino-Bild der Milchstraße zu erstellen.
Gamma-Strahlen als Hinweis auf Neutrinos
Aus der Beobachtung von extrem energiereichem Licht – der Gammastrahlung – aus unserer Heimatgalaxie hatten die Forscher bereits seit langem geschlossen, dass die Milchstraße auch eine Quelle von Neutrinos sein muss, denn diese entstehen, gemeinsam mit der Gammastrahlung, beim Zusammenstoß von energiereicher kosmischer Strahlung mit dem Gas und Staub zwischen den Sternen.
Die Identifikation der Neutrinos war allerdings schwer: Auf die Erde prasseln pro Sekunde Trillionen von Teilchen sehr unterschiedlicher Herkunft und Energien. Um die gesuchten hochenergetischen, aus dem Weltall kommenden Neutrinos von den Hintergrund-Teilchen unterscheiden zu können, war für die Konzeption des IceCube Neutrino Teleskops in den 2000er Jahren zunächst geplant, die Erde als passiven Filter für den unerwünschten Hintergrund zu benutzen.
Aktiver Filter in IceCube
„Das hätte bedeutet, dass die Milchstraße aus dem Beobachtungshorizont von IceCube grundsätzlich ausgeschlossen gewesen wäre“, sagt Elisa Resconi, Professorin für Experimentalphysik mit kosmischer Strahlung an der Technischen Universität München, Sprecherin des Sonderforschungsbereichs 1258 und Koordinatorin des Connectors für kosmische Beschleuniger (CN-6) des Exzellenzclusters ORIGINS. Erst die Entwicklung eines aktiven Hintergrund-Filters im Jahr 2009 zusammen mit Stefan Schönert, Professor für Astroteilchenphysik an der TUM und Koordinator der Research Unit für Teilchen und Kosmos (RU-B) am ORIGINS Cluster, ermöglichte die Einbeziehung der Beobachtungsdaten der südlichen Hemisphäre und damit auch der Milchstraße.
„Die schwierige Aufgabe war dann, in den gefilterten Daten die Neutrinos der Milchstraße zu finden“, erklärt Resconi, „denn die Neutrinos des fernen Universums überstrahlen bei weitem diejenigen unserer unmittelbaren kosmischen Umgebung.“ Mit ausgefeilten Methoden des Maschinellen Lernens ist dies nun nach jahrelangen Bemühungen im Rahmen einer Promotionsarbeit an der TU Dortmund gelungen: Aus rund 59.000 Signalen, beobachtet in den zehn Jahren seit der Inbetriebnahme von IceCube im Jahr 2011, konnten bis zu 748 Neutrino-Signale der Milchstraße zugeordnet werden.
„Unklar ist jedoch, ob es sich dabei um eine diffuse Emission von Neutrinos aus der galaktischen Ebene handelt oder um Neutrinos aus bisher nicht identifizierten Himmelsobjekten der Milchstraße“, so Resconi. „Ohne weitere Beobachtungsdaten ist diese Frage auch nicht zu beantworten.“
P-ONE: Neues Neutrino-Teleskop im Pazifischen Ozean
Resconi hat daher vor kurzem eine Initiative zum Bau eines neuen Detektors für hochenergetische Neutrinos gestartet, das Pacific Ocean Neutrino Teleskop (P-ONE). Inzwischen gehören zur internationalen P-ONE Kollaboration rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Kanada, USA, Polen und Deutschland. Derzeit laufen die Vorbereitungen zur Installation der ersten Detektoren auf dem 2600 Meter tiefen Meeresboden vor der kanadischen Küste.
P-ONE wird dazu beitragen, die vielen Fragen zu lösen, die es derzeit rund um die Entstehung und Herkunft von hochenergetischen Neutrinos aus dem Weltall gibt – auch das Rätsel der Neutrinos aus der Milchstraße. „Schon jetzt ist aber klar, dass der erstmalige Nachweis hochenergetischer Neutrinos aus der Milchstraße ein völlig neues Fenster zum Studium der energiereichsten Teilchen in unserer kosmischen Umgebung öffnet, und einen bedeutenden Schritt hin zum Verständnis der Herkunft der galaktischen kosmischen Strahlung darstellt“, sagt Resconi.
IceCube Hintergrund
Das IceCube Neutrino Observatorium beobachtet den Kosmos aus der Tiefe des Südpol-Eises. Der Detektor umfasst einen Kubikkilometer Eis und ist mit 5600 Photosensoren ausgestattet, welche die Signale erfassen, die bei der Kollision von kosmischen Neutrinos mit Eismolekülen entstehen. Die hochenergetischen astronomischen Boten liefern Informationen zur Erforschung der heftigsten astrophysikalischen Quellen wie explodierende Sterne, Gammastrahlenausbrüche und aktive Galaxienkerne. Etwa 300 Physiker aus 58 Institutionen in 14 Ländern bilden die IceCube Kollaboration.
Acknowledgement
Die National Science Foundation (NSF), USA, leistete die Hauptfinanzierung für das IceCube Neutrino Observatorium, mit Unterstützung von Förderorganisationen auf der ganzen Welt. Die deutsche Beteiligung an IceCube wird unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über den Exzellenzcluster ORIGINS und den Sonderforschungsbereich 1258 (SFB 1258), sowie von den beteiligten Universitäten.
Pressemeldung des SFB1285.
Publikation
IceCube Collaboration (2023), “Observation of high-energy neutrinos from the Galactic plane”, Science
Kontakt
Prof. Dr. Elisa Resconi
Physik Department der Technischen Universität München
E-Mail: elisa.resconi(at)tum.de